Was ist los bei Shell? Fragen an den Direktor

Mal sind es Meldungen über austretendes Leichtbenzin aus Rohrleitungen und Verschmutzungen des Grundwassers. Mal sind es Geruchsbelästigungen. Immer wieder sorgen sich Bürgerinnen und Bürger: Was ist los bei der benachbarten Rheinland-Raffinerie? Der SÜDBLICK hat jetzt bei Dr. Marco Richrath nachgefragt, dem Direktor der Shell Rheinland Raffinerie. Im Interview erklärt er auch, wie es weitergeht bei dem Unternehmen, das in Zukunft auf Ökostrom und grünen Wasserstoff setzt. Lesen Sie das Interview hier.

SÜDBLICK: Seit Jahren gibt es immer wieder Berichte über Ölaustritte in der benachbarten Shell-Raffinerie Godorf durch marode Leitungen. Das WDR-Fernsehen berichtete unlängst, dass die Probleme jahrelang ignoriert und vertuscht wurden. Können Sie die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger verstehen? 

MARCO RICHRATH: Selbstverständlich kann ich das verstehen. Wir bedauern sehr, dass wir im April vergangenen Jahres über die Gasölleckage informieren mussten. Auch wenn die Verunreinigung klar auf das Werksgelände beschränkt ist – dieser Schaden ist nicht tolerierbar, hier sind wir unserem eigenen Anspruch nicht gerecht geworden. Wir werden alles daransetzen, das Programm, um Rohrleitungen in Straßenunterquerungen aus der Erde zu holen und in frei einsehbaren Brückenkörpern zu verlegen, zu beschleunigen. 

SÜDBLICK: Warum bekommen Sie das Problem nicht in den Griff? 

MARCO RICHRATH: Wir sanieren die Verunreinigung auf dem Godorfer Werksgelände und wir arbeiten mit Hochdruck daran, wirklich alle noch im Boden verlaufenden Leitungen über die Erde zu holen. Hierbei haben wir in den vergangenen Jahren schon viel geschafft. In Wesseling liegen bereits alle Leitungen oberirdisch. Mammutprojekte hierbei waren insbesondere die Nord- und die Südtrasse im Tankfeld. Letztere wurde zum Jahresende 2020 fertiggestellt. In Godorf liegen unsere Leitungen weitestgehend oberirdisch in befestigten Rohrgräben. Nur zur Unterquerung von Werksstraßen verlaufen sie unterirdisch. Hier haben wir bereits 68 von 145 Querungen zu Brückenkörpern umgebaut und arbeiten an einem beschleunigten Umbau der verbleibenden 77. 

SÜDBLICK. Was unternimmt Shell, um Vorsorge zu treffen, dass sich derartiges nicht mehr wiederholt? Wäre es nicht eine Lösung, alle Leitungen oberirdisch verlaufen zu lassen? 

MARCO RICHRATH: Vollkommen richtig. Genau daran arbeiten wir. Denn nur was ich tatsächlich sehen kann, kann ich auch bewerten. Trotz 60-jähriger guter Betriebserfahrung mit Mantelrohren, in denen Produktleitungen Straßen unterqueren, mussten wir lernen, dass dieses Konzept nicht das Maß an Sicherheit und Verlässlichkeit bietet, das wir in der Raffinerie aber unabdingbar brauchen. Deshalb setzen wir alles daran, die verbleibenden 77 Rohrleitungsabschnitte beschleunigt aus der Erde zu holen und in ebensolchen Brückenkörpern zu verlegen. In einer Sofortmaßnahme öffnen wir 26 dieser Straßenunterquerungen, um uns ein klares Bild vom Zustand der Mantelrohre zu verschaffen. 

SÜDBLICK: Die Aufsichtsbehörden wollen Shell bis ins Jahr 2034 Zeit geben, die Rohre oberirdisch zu verlegen. Geht es nicht schneller? 

MARCO RICHRATH: Nageln Sie mich nicht auf eine Jahreszahl fest, denn bei der Überarbeitung unseres „Umbaufahrplans“ geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Aber keine Frage: 2034 ist zu lang. Bei der Verfügung der Bezirksregierung wurden durchschnittlich sieben umgebaute Straßendurchführungen pro Jahr als realistisch erachtet. So kam der Zeithorizont zustande. Bis jetzt haben wir bereits durchschnittlich neun Umbauten pro Jahr geschafft, liegen also schon etwas über Plan. Wir arbeiten daran, noch schneller zu werden. Grenzen sind uns allerdings auch dadurch gesetzt, dass wir nicht alle Straßen im Werk gleichzeitig öffnen können, ohne die Wege für die Werksfeuerwehr zu verlängern und damit die gesetzlich vorgeschriebenen Hilfsfristen zu überschreiten. 

SÜDBLICK: Der örtliche Landtagsabgeordnete Oliver Kehrl fordert ebenso wie der unabhängige Sachverständige, der alle kritischen Vorgänge genau prüft, häufigere Kontrollen auch seitens der Behörden. Unterstützen Sie dies? 

MARCO RICHRATH: Unabhängige Sachverständige sind seit der Feststellung des Schadens im Einsatz, die insbesondere den Schadensmechanismus an der konkreten Leitung untersuchen und ein von der Bezirksregierung verfügtes Sanierungskonzept ausgearbeitet haben. Prof. Jochum und sein Team haben darüber hinaus das Konzept von Produktleitungen in Mantelrohren grundsätzlich unter die Lupe genommen. Hinter den Empfehlungen dieser Experten, zu denen auch zusätzliche Prüfungen gehören, stehen wir vollkommen. 

SÜDBLICK: Nochmals zum Vorwurf der Vertuschung. Wie und auf welchen Wegen informieren Sie zu kritischen Anlässen die Bevölkerung sofort, transparent und umfassend? Wie suchen Sie das Gespräch mit der Nachbarschaft? 

MARCO RICHRATH: Wir haben – bezogen auf den vorliegenden Fall – unverzüglich die relevanten Behörden informiert. Außerdem haben wir auch über unsere Internetseite sowie unseren Nachbarschafts-Emailverteiler relevante Informationen weitergegeben. Lassen Sie mich betonen: Es ist unser Ziel, bei Ereignissen, die externe Auswirkung oder Wahrnehmung haben oder bekommen könnten, zeitnah und transparent zu informieren. Für den Emailverteiler können sich Nachbarn aktiv auf unserer Website (www.shell.de/rheinlandraffinerie) anmelden. Hier – unter der Rubrik „Umwelt und Sicherheit“ – veröffentlichen wir auch monatliche Fortschrittsberichte zur Sanierung der Bodenverunreinigung und auch das Gutachten von Prof. Jochum ist dort ungekürzt zu lesen. Zusätzliche Kanäle sind die Facebookseite unseres Nachbarschaftsbüros „Treffpunkt der Industrie“ (www.facebook.com/TreffpunktWesseling) und unser rund um die Uhr besetztes Nachbarschaftstelefon mit der Rufnummer 0800 2236750. Und: Mitte Dezember haben wir unsere zweimal im Jahr erscheinende Nachbarschaftszeitung an rund 80 000 Haushalte in der Region rund um die Werke der Rheinland Raffinerie verteilt. 

SÜDBLICK: Bieten Sie interessierten Bürgerinnen und Bürgern auch die Möglichkeit an, das Werk vor Ort zu besichtigen, um sich ein eigenes Bild von Ihrer Arbeit sowie den Sicherheitsmaßnahmen zu machen? 

MARCO RICHRATH: Wir bieten regelmäßig Werkführungen an – unter dem Vorbehalt, dass die betrieblichen Bedingungen es zulassen. In der Regel werden diese Werktouren über das Nachbarschaftsbüro der Industrie in Wesseling von unserem Mitarbeiter für Nachbarschaftskommunikation koordiniert. Aber auch außerhalb des Büros bieten wir diese Werktouren durch Köln-Godorf und Wesseling an. Dabei kooperieren wir auch mit Volkshochschulen, die das Angebot eines Raffineriebesuchs in ihr Programm aufgenommen haben. Allerdings haben wir aufgrund der Pandemie dieses Angebot vorläufig einstellen müssen. Wegen der Pandemie konnten wir im vergangenen Jahr lediglich drei Werktouren mit insgesamt knapp 50 Besuchern durchführen. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 haben wir 21 Werkbesuche mit insgesamt über 400 Teilnehmern durchgeführt. 

SÜDBLICK: Shell ist für die Region ein wichtiger Arbeitgeber. In den Werken von Godorf und Wesseling arbeiten rund 3000 Beschäftigte. Sie bilden die größte Raffinerie in Deutschland. Sind das noch Jobs mit Zukunft oder führt die zunehmend kritischere Umweltdebatte und der Umstieg auf regenerative Energien dazu, ihr Engagement zurückzuschrauben? 

MARCO RICHRATH: Ganz im Gegenteil: Im Rheinland wollen wir mit dem nachhaltigen Umbau und der Transformation der Raffinerie in einen Energy & Chemicals Park einen integrierten Beitrag zum Strukturwandel im Rheinischen Revier leisten. Wir helfen dabei aus „grauen“ Industriearbeitsplätzen “grüne“ zu machen. Wir sind hier, um zu bleiben. Und das geht natürlich nur, wenn wir die dafür notwendige gesellschaftliche Akzeptanz erfahren. Dafür arbeiten wir mit einem klaren Plan für eine kohlenstoffarme, nachhaltige Energie- und Mobilitätszukunft, aber vor allem mit einem verlässlichen, sicheren Betrieb unserer Anlagen – Tag für Tag. 

SÜDBLICK: Reden wir über die Zukunft der Raffinerie. Sie setzen auf Wasserstoff als C02-neutralen Treibstoff von morgen. Was planen Sie konkret? 

MARCO RICHRATH: Wir bauen im Werk Wesseling den derzeit weltweit größten sogenannte PEM-Elektrolyseur. PEM bedeutet Polymer-Elektrolyt-Membran-Technologie. Hiermit werden wir aus Ökostrom und Wasser grünen Wasserstoff herstellen und so die CO2-Emissionen der Raffinerie deutlich reduzieren. Die Anlage wird zunächst eine Kapazität von zehn Megawatt haben. Der Wasserstoff wird für den eigenen Bedarf produziert, der Elektrolyseur ist aber auch ein Pilot für weitere industrielle Anwendungen und die Wasserstoffnutzung im öffentlichen Nahverkehr. Hiermit engagieren wir uns auch in der Wasserstoffmodellregion Rheinland. 

SÜDBLICK: Die Rheinland Raffinerie will sich zu einem nachhaltigen grünen Energie- und Chemiestandort weiterentwickeln und hat dazu Ende letzten Jahres (2020) mit der NRW-Landesregierung eine Kooperationsvereinbarung getroffen. Was sind die Ziele? 

MARCO RICHRATH: Die Landesregierung möchte Nordrhein-Westfalen zum modernsten und umweltfreundlichsten Industriestandort Europas machen und uns eint das Bekenntnis zu den Pariser Klimazielen. Die Kooperationsvereinbarung regelt nun die Zusammenarbeit von Landesregierung und Shell, um den Wandel der Rheinland Raffinerie bestmöglich zu unterstützen. Dazu gehört zum Beispiel die Einrichtung eines Transformationsdialogs mit der Landesinitiative IN4climate.NRW sowie eines Beirats mit hochrangigen Vertretern aus Politik, Industrie und Wissenschaft. 

SÜDBLICK: Beschreiben Sie einmal Ihre Vision: Wie wird der Platz Ihres Unternehmens in der modernen Energiewelt von morgen aussehen? 

MARCO RICHRATH: Shell ist weltweit dabei, das Geschäft an den Umbau der Energiesysteme anzupassen. Dafür haben wir uns CO2-Reduktionziele gesetzt: Zum einen für die Emissionen, die bei der Erzeugung unserer Produkte entstehen und für die wir bis spätestens 2050 eine Netto-Null erreichen wollen – das ist unsere „net zero emission“-Ambition. Zum anderen für die Emissionen unserer Kunden, wenn sie unsere Produkte verwenden. Wir wollen den Netto-Kohlenstoff-Fußabdruck der von uns verkauften Energieprodukte bis 2050 um 65 Prozent verkleinern. Auf dem Weg dahin – bis 2035 – wollen wir ihn um 30 Prozent reduzieren. 

SÜDBLICK: Heißt das auch, die Standorte Godorf und Wesseling werden umweltfreundlicher, keine Verschmutzung mehr von Luft und Grundwasser? 

MARCO RICHRATH: Genau. Unsere Perspektive ist, die Verarbeitung von Rohöl zu Kraftstoff zu reduzieren und stattdessen mehr und mehr regenerative Stoffströme zu integrieren – also Bio-Komponenten, Ökostrom, grünen Wasserstoff oder auch Recycling-Material für nachhaltigere Chemieprodukte

Fotos: (c) Shell

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