MEINE STRASSE: Am Rodderpfädchen

So gesehen von Markus Schöneberger

Kennen Sie Howard Carpendale? Wegen ihm geriet Markus Schöneberger ganz zufällig ins Rodderpfädchen. Weil er nämlich nicht so gut singen kann wie der Schmusesänger mit dem „Hello again“-Sound. Und seitdem grübelt er unablässig darüber, was dieser ungewöhnliche Straßenname wohl bedeuten soll.

Hamburg ist schön, sogar sehr schön. Gibt es also einen Grund, von dort freiwillig wegzugehen? Natürlich nein. Bei mir war es jedoch so: Das Telefon klingelte und ich wurde mit der Frage konfrontiert, ob ich wenigstens für ein paar Jahre in Köln beim Aufbau eines neuen Fernsehsenders, der damals noch RTL plus hieß, mithelfen könne? Hmmm. Von der eleganten Elbe an den mir noch ziemlich unbekannten Rhein umziehen? Doch es sollte so sein. Und deshalb brauchte ich so schnell wie möglich eine passende Wohnung für meine junge vierköpfige Familie. Aber in Köln wollte uns niemand. Keine Wohnung für Fischköppe, hieß es überall, wo ich auch anklopfte. Mehrere Makler setzte ich in Marsch. Der eine bot mir ein „rustikales Haus im bäuerlichen Landhausstil“ an, das sich bei der Ortsbesichtigung allerdings als verlassene Hofruine entpuppte. Beim nächsten Objekt flüsterte mir eine Nachbarin aufgeregt zu, ich sollte im Falle eines Einzugs unbedingt auch an Gummistiefel denken wegen der nahen Rheinlage, Hochwasser und so. Vielen Dank! Dann wurde mein Blick auf ein „Architektenhaus“ gelenkt: Schmal, hoch, fast ganz aus Glas. Dort würde ich bestimmt rund um die Uhr sehr gut unter Beobachtung stehen – transparent von allen Seiten. Aber so viel Aufmerksamkeit scheute ich dann doch. Es folgte ein Objekt in „Stadtrandlage“, leider erwies sich diese als Eifelvorort. Weitere Hochglanzprospekte verdienten nicht einmal ein mattes Lächeln. Wochen vergingen so ins Land…

Doch dann ein verheißungsvoller Treffer: Der inzwischen vierte Makler stellte mir „etwas ganz Besonderes“ in Aussicht, „etwas, was absolut zu Ihnen passt, da Sie ja mit Fernsehen zu tun haben“. Als wir das Haus ganz in der Nähe des Senders über ein paar Stufen betraten, strahlte er mich an: „Hier hat bis jetzt Howard Carpendale gewohnt“. Hätte ich ahnen können, denn der Eingangsbereich war an allen Wänden von oben bis unten inklusive Boden und Decke voller großflächiger Spiegel. Hinter dem einen ging es ins Bad, der zweite öffnete sich diskret zum Wohnraum, der dritte versteckte die Treppe nach oben. Der Makler meinte, das sei doch so etwas wie ein Treffer im Lotto. Ich musste allerdings bescheiden zu bedenken geben: „Ich kann gar nicht singen – und benötige deshalb auch keinen eigenen Showroom zum Einüben diverser Hits und Konzertauftritte.“ Als der freundliche Herr gar nicht lockerlassen wollte, raunte ich noch, meine Frau habe zudem eine hartnäckige Allergie gegen Spiegelputzen. Kurz und gut: Deshalb platzte auch dieses Traumhaus. 

Stattdessen pendelte ich viele Monate jedes Wochenende in den hohen Norden. Gute Nachrichten von der rheinischen Immobilienfront hatte ich keine im Gepäck, dafür aber viel schmutzige Wäsche. Bis das Glück mir doch noch zulächelte: Fünf junge Damen hätten da etwas ganz in der Nähe des berühmten Grüngürtels, den Konrad Adenauer einst bauen ließ. Das klang gut: Konrad Adenauer statt Howard Carpendale. Allerdings: Ich müsste ganz schnell zugreifen. Der Makler nuschelte den Straßennamen ins Telefon, aber leider in ziemlich unverständlichem rheinischem Dialekt. Ich hatte wohl einen Hörfehler. Und verstand nur etwa: „Hottepferdchen“ – „Wie? Was? Was für ein Pferdchen soll das sein?“ Doch eine Entscheidung musste dringend her – und schon drei Tage später saß ich deshalb in Köln beim Notar den erwartungsfrohen Damen gegenüber. Während der Notar die Beschaffenheiten der Lage „Am Rodderpfädchen“ in allen Details herunterbetete, schielte ich diskret zu ihnen herüber: Ob die auch alle dort wohnen werden? Gelangweilt fing ich an, auf meinem Notizblock zu dichten: 

„Warum wohl wohnen die schönsten Mädchen

von ganz Köln im Rodderpfädchen?“

(Den weiteren Teil erspare ich mir hier, das tut nämlich nichts zu Sache!).

Kurz danach bin ich also in diesem gepflegten, familienfreundlichen Rodderpfädchen gelandet – wenn dort nur nicht so viele vergessliche Hunde(besitzer) unterwegs wären! Den Ursprung des Straßennamens aber konnte mir bis heute keiner überzeugend erklären. „Roden“ oder „Rottern“ steckt da wohl darin, also die Beseitigung von Feldwurzeln und altem Gehölz durch Bauern. Davon gab es in jener Gegend wohl einmal etliche. Und auch der nahe „Großrotter Hof“ erinnert an diese einstigen Ursprünge. 

Später lernte ich, dass die älteren Rondorfer die Gegend noch bis heute am liebsten meiden. Denn irgendwo hier lag auch der berüchtigte „Jaleschberg“: Als Ausdruck der Gerichtsbarkeit befand sich in früherer Zeit oberhalb unserer friedlichen Straße ein durchaus gefürchteter Galgen. Der Galgen des Hochgerichts war eine gemauerte kreisförmige Erhöhung, auf der zwei Pfeiler den tödlichen Querbalken trugen. Zum Glück wird diese Richtstätte heute – soviel ich weiß – nicht mehr für den finalen Justizvollzug genutzt. Aber die älteren Nachbarn nennen jene Anhöhe heute noch respektvoll „Jaleschberg“. 

Egal. Den fünf wunderbaren Damen war ich jedenfalls damals von Herzen dankbar – und ebenso Konrad Adenauer, immer wenn mich später im nahen Grüngürtel meine leuchtend gelben Laufschuhe durch Wiesen, Felder, Wald trugen. Sitze ich im Garten, zieht bei schönem Wetter zuverlässig aus irgendeiner Ecke des Rodderpfädchens der verführerische Geruch von Bratwurst oder Grillfleisch herüber, mitunter wird auch fröhlich musiziert. Dann summe ich leise mit. Manchmal auch „Hello again“. Doch Medienleute sind wie fahrendes Volk. Nirgendwo richtig zuhause. Ihre Reise führt immer weiter. Und manchmal vermisse ich in der rheinischen Tiefebene doch arg den frischen Wind des Nordens. Dann spüre ich tief in mir: Hamburg, Hello again. 

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