Einer von uns: Schiedsmann Werner Müller

Ach, wie schön wäre es doch, wenn alle Menschen in Frieden miteinander leben könnten! Doch das ist im Alltag nicht immer einfach. Hier ein unbedachtes böses Wort, das rasch zur Beleidigung eskaliert. Da ein Hausfriedensbruch, eine Sachbeschädigung. Aber zum Glück gibt es Werner Müller, den immer auf Ausgleich bedachten Schiedsmann aus Rondorf. Wie er aus aufgebrachten Streithähnen wieder freundlich grüßende Nachbarn macht, hat er dem SÜDBLICK verraten. 

Alles an ihm ist irgendwie beruhigend: Mit langsamer, aber fester Stimme beschwichtigt Werner Müller sein Gegenüber, der eben noch aufgeregt lautstark und heftig seinem Ärger Luft gemacht hat. Und sei es nur, weil ihn die Steckdosen in der Wohnung nebenan stören. Nicht selten geht es in solchen Fällen in Müllers guter Stube recht emotional zu, so manches hat sich da im Laufe der Zeit offenkundig bei Frau X oder Herrn Y aufgestaut. In Extremsituationen kann es sogar vorkommen, dass die eine Streitpartei die andere während der Verhandlung körperlich so massiv attackiert, dass der Schiedsmann dazwischen gehen muss und alle beide hinauswirft.

Doch Werner Müller ist im Allgemeinen äußerst geduldig. Still hört er sich alles an. Dann macht er eine Pause. Schaut mit sanftem Lächeln über den schmalen Brillenrand zur „Konfliktpartei“ auf der anderen Seite des Tisches. Und sagt erst einmal nichts zu dem hitzigen Vortrag. Er macht sich stattdessen ein paar Notizen. Dann kommt der „Kontrahent“ zu Wort. Wieder die gleiche Prozedur. Aber vielleicht ist das Temperament jetzt schon wieder etwas herunter gekühlt. Denn Werner Müller setzt alles daran, eine Atmosphäre betonter Sachlichkeit zu schaffen. „Wichtig ist, dass jede Partei erstmal in Ruhe ihre Sichtweise darlegen kann und nicht unterbrochen wird“, erzählt er. Manchmal dauern die Gespräche lange oder sehr lange. Meistens jedoch ca. eine Stunde. Die Verhandlungen dauern länger, so bis zu zwei Stunden. Sofern der umtriebige Besucher, der erst nach acht Wochen Zeit zu einem klärenden Gespräch in seiner Sache findet, nicht schon wieder nach zwei oder drei Minuten einfach aufsteht und davon geht. Sein Problem scheint offenbar doch nicht so wichtig zu sein.

Seit mehr als vier Jahren ist der heute 68jährige ehrenamtlicher Schiedsmann für den Kölner Bezirk 21, der nicht nur Rondorf, sondern auch Bayenthal, Marienburg, Raderberg, Raderthal und Zollstock umfasst. Und da gibt es wohl einiges zu tun: Rund 120 Streitfälle haben ihm bisher Polizei, Gerichte zugewiesen oder sie sind in Eigeninitiative gekommen, weil sie hoffen, dass der kräftige weißhaarige Mann die Streithähne zu einer Verständigung bewegen kann. So wie zwei enge Verwandte, die seit Jahrzehnten jeder eine Doppelhaushälfte bewohnen, aber wegen Unstimmigkeiten über die gemeinsame Gartengrenze partout kein Wort miteinander sprechen. Da sind die Ärgernisse vorprogrammiert. 

Was vor allem bringt Menschen, oftmals Nachbarn, so auf die Palme, dass sie aneinandergeraten? Da muss selbst der immer freundliche, gelassene Herr Müller ein wenig lächeln: „Garten, Garten, Garten – Tiere, Beleidigungen, Lärm und alles was man sich vorstellen kann“, zählt er auf. Die Zahl der Akten, die sich im Laufe der Zeit gestapelt haben, ist beachtlich. „Manche schleppen dicke Ordner mit Fotos und anderem scheinbaren Beweismaterial an“, hat der Schiedsmann gelernt, der auch in der Seniorenvertretung Rodenkirchen aktiv ist.

Natürlich darf er keine Details verraten, Diskretion ist in diesem ehrenamtlichen Job als Friedensstifter die Vertrauensgrundlage schlechthin. Aber er lässt im SÜDBLICK-Gespräch zumindest ahnen, wer da so alles durch seine schmucke Tür zu ihm kommt: Es sind mehr Männer als Frauen, eher Ältere als Junge, die da bisweilen mitunter heftig „ihr gutes Recht“ einfordern. Und das bisweilen auch anschaulich demonstrieren. Da ist zum Beispiel jene Dame, die dem braven Schiedsmann aus Rondorf die Spuren eines Hundebisses unbedingt an ihrem Gesäß zeigen musste. Leider aber war trotz des Sichtkontakts nichts weiter zu sehen. Ein sehr hintergründiger Fall.

Oftmals ist der ehemalige Bilanzbuchhalter, der auch schon als Koch im Kurhaus auf der schönen Bühlerhöhe im Schwarzwald gearbeitet hat, erstaunt, dass ein und derselbe Fall plötzlich so zwei völlig unterschiedliche Geschichten zu Tage bringt. Dann ist vor allem der gesunde Menschenverstand gefragt. Mit leiser Stimme versucht Werner Müller zu vermitteln. Nur vorsichtig schaltet er sich ein. Etwa mit der Frage: „Ist es nicht besser für Sie, wenn wir versuchen, eine Einigung zu finden? Oder möchten Sie wirklich dauerhaft in Streit und Unfrieden leben?“ „Schlichten statt Richten“, ist sein Leitmotiv, denn er ist ja kein Richter. Sondern eher ein Moderator, der sich bemüht, die beiden konträren Seiten behutsam miteinander ins Gespräch zu bringen.

Was also muss jemand vor allem mitbringen, der sich auf diese heikle Aufgabe als Schiedsmann einlässt? „Er sollte sehr gelassen, konsequent und voller Fantasie sein“, zieht der Rondorfer Bilanz seiner langjährigen Erfahrungen. Und ist ein bisschen stolz: In etwa der Hälfte der „streitigen Angelegenheiten“ ist es ihm gelungen, eine Lösung hinzukriegen – ohne den Weg zum Gericht.

Weil er nach seiner beruflichen Tätigkeit noch eine sinnvolle Beschäftigung ausüben wollte, hat sich der freundliche Herr bei der Stadt Köln für das Schiedsamt beworben, ganz genau beim Amt für Recht, Vergabe und Versicherungen. Dort führte er zunächst ein Gespräch mit dem zuständigen Mitarbeiter sowie einer erfahrenen Schiedsperson aus Köln. Ihnen gefiel die souveräne, ruhige Art des Jungrentners. Als Schiedsperson kann sich hier übrigens jeder bewerben, der mindestens 30 Jahre alt ist, aber noch nicht siebzig. Müller bekam eine mehrtägige Einweisung und wurde sodann für fünf Jahre von der Bezirksvertretung Rodenkirchen in das Ehrenamt gewählt. Seine Mission lautet seitdem: Zwei Streitparteien an einen Tisch bringen, die Positionen geduldig austauschen, mit freundlichen diplomatischen Ratschlägen eine Einigung anstreben, so dass am Ende alle möglichst wieder mit einem versöhnlichen Händedruck auseinandergehen können. Denn das ist Werner Müller wichtig. „Gut ist es, wenn sich beide gegenseitig zum Schluss entschuldigen und damit auch für sich einen sehr persönlichen Schlussstrich unter die zunächst erbitterte Angelegenheit ziehen und wieder ihren inneren Frieden finden!“.

Der ganz praktische Vorteil: Bürger kommen so oftmals unbürokratisch und schnell zu ihrem Recht durch einen Vergleich. Das spart Kosten und entlastet die Gerichte. Das Verfahren beim Schiedsamt wird durch einen Antrag, der Name und Anschrift der Parteien sowie den Gegenstand der Causa darstellt, eingeleitet. Bei Streitigkeiten mit eher geringem Streitwert und bestimmten Nachbarschaftskonflikten müssen die Prozessparteien sogar im Regelfalle zuerst einen Schiedsmann aufsuchen, bevor es zum aufwändigen juristischen Fall kommt. Der Schiedsmann setzt den Termin fest, zu dem beide Parteien erscheinen müssen, sonst droht sogar ein Ordnungsgeld.

Werner Müller ist aber kein Richter und spricht also kein Urteil. Vielmehr protokolliert er das Wesentliche, schreibt in kurzer Form auf, was die jeweilige Partei umtreibt. „Das ist mir wichtig, damit nicht alles schwammig bleibt“, beschreibt er seine Vorgehensweise. Als Vermittler zwischen den Fronten ist er sorgsam bemüht, sich während der Gespräche zurückzuhalten und sich keinesfalls von einer Seite beeinflussen zu lassen. 

Ist der Einigungswille erzielt, formuliert er im Erfolgsfalle schriftlich eine Vereinbarung. Akzeptieren die Streithähne mit ihrer Unterschrift das einvernehmliche Ergebnis, wird das Ganze noch mit einem Dienstsiegel bekräftigt. So viel Ordnung muss sein. Dafür ist das Dokument dann auch 30 Jahre gültig. Allzu teuer ist das Verfahren für die Beteiligten nicht: Für einen Vergleich sind 25 Euro fällig, dazu kommen Auslagen etwa für Porto. Ein Anwalt wäre für ein solches Honorar kaum zu bekommen.

Verhandelt wird bei Werner Müller zuhause. Neben seiner Haustür im Merlinweg weist schon ein Schild mit NRW-Wappen auf seine wichtige Aufgabe hin: Schiedsamt. Wird ein Schlichtungsantrag eingereicht, muss der Antragsteller zunächst einen Vorschuss von 50 Euro leisten. Wenige Wochen später geht es dann los. Und sollte der verbindliche Herr Müller einmal nicht erfolgreich sein, besteht immer noch der teurere Rechtsweg.

Bleibt zum Schluss eine Frage an den Schlichter von nebenan: Nimmt die Konflikthäufigkeit in unserer Gesellschaft eher zu? Da zieht der Mann aus Rondorf eine positive Bilanz und meint: „Eher nicht. Auch die größere Stressbelastung durch die Corona-Pandemie mit all ihren Begleiterscheinungen hat nicht zu einer Erhöhung des Streitpotenzials geführt.“ Na, das sind immerhin gute Aussichten für ein friedliches Neues Jahr.

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