Einer von uns: Claus Kreß

„Give peace a chance.“ Wer die Homepage von Claus Kreß besucht, stößt gleich auf diesen wohl berühmtesten Songtitel von John Lennon. Aufgenommen 1969. Der Kölner Jura-Professor war da gerade drei Jahre alt. Und doch wurde dieser Appell des Pop-Poeten später so etwas wie das Lebensmotto des Rondorfers. Denn der Straf- und Völkerrechtler ist heute einer der weltweit renommiertesten Juristen, wenn es um Fragen von Krieg und Frieden geht. Das ist sein „Herzensthema“. 

1998 verhandelte er für Deutschland mit bei der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofes und seit dem letzten Jahr ist er Richter in einem Rechtsstreit vor dem Internationalen Gerichtshof, dem Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen. Der SÜDBLICK wollte von ihm wissen: Bekommt der Frieden in unserer Welt jemals eine wirkliche Chance?

Er steht da inmitten einer Diskussionsrunde von drei Dutzend „Friedensbewegten“ im heimischen Pfarrzentrum Heilige Drei Könige. Die Debatte kreist engagiert um die Frage: „Warum gelingt es nicht, globale Konflikte anders als mit kriegerischer Zerstörung zu lösen?“ Zur gleichen Stunde senden die Fernsehnachrichten dramatische Bilder über neue schwere Auseinandersetzungen im Bürgerkriegsland Syrien, die zugespitzte Lage in Weißrussland. Blutige Kämpfe an vielen Ecken der Erde. „Ja, bei solchen Bildern muss jeder ganz tief schlucken; bei all diesem Leid versagt auch mir die Sprache. Aber genau das ist der Ansporn für mich, immer wieder über Regeln für friedliche Lösungen nachzudenken.“ Claus Kreß, der prominente Gesprächspartner des Abends, ist jetzt ganz in seinem Element. Denn er hat die Frage eines weltweiten Friedenssicherungsrechts zu seinem Lebensthema gemacht. 2012 hat er deshalb an der Kölner Universität ein Institut für internationales Friedenssicherungsrecht gegründet und ist dessen Direktor. Seitdem ist sein Rat, seine Expertise weltweit gefragt. Unermüdlich fordert er immer wieder ein klares Bekenntnis zur Idee des Völkerrechts ein. Doch seine Prognose an diesem Abend klingt keinesfalls optimistisch. Er sieht diese große Idee von vielen Seiten unter Druck durch eine „Allianz der Staaten, die sich vom Völkerrecht abwenden, durch Regierungen, die rücksichtslos auf eigene Faust kalkulieren“.

Was reizt ihn dennoch an seiner Aufgabe? Die Antwort kommt, ohne zu zögern: „Die Frage von Krieg und Frieden empfinde ich als elementar. Die Bewahrung des Weltfriedens ist die wohl wichtigste Voraussetzung dafür, dass zahlreiche andere zentrale Probleme erfolgreich bearbeitet werden können, etwa der Klimaschutz oder eine faire Weltwirtschaftsordnung“, erklärt der 54-jährige. Doch ist er frei von Illusionen: Das völkerrechtliche Gewaltverbot, dieser „Eckstein der internationalen Rechtsordnung“, steht unter Druck. Derzeit macht er sich auch Gedanken über die völkerrechtlichen Regeln, die bei Konflikten zwischen Staaten und transnationalen Terrororganisationen wie Al Quaeda oder dem „Islamischen Staat“ gelten müssen: „Früher standen die Konflikte zwischen Staaten ganz im Vordergrund. Inzwischen müssen wir den Blick auf solche nicht-staatliche Organisationen wie diese erweitern.“ Und er fragt: „Wann darf ein Staat einem anderen auf dessen Ersuchen hin militärischen Beistand auf dessen Staatsgebiet leisten?  Denken Sie etwa an die russische Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien.“ Zuletzt beschäftigte ihn auch der Giftanschlag auf den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny.

Begonnen hat die Karriere des Top-Juristen im Bundesjustizministerium. „Bei der Mitarbeit an einer sehr umstrittenen Strafrechtsreform habe ich die Gesetzgebung in Deutschland hautnah erlebt. Dann wurde 1998 der Internationale Strafgerichtshof gegründet. Das interessierte mich brennend. Denn meine Fächer Völkerrecht und Strafrecht flossen hier ja zusammen. Doch als blutjunger Beamter habe ich mir keinerlei Chance ausgerechnet, an der Gründungskonferenz in Rom teilnehmen zu dürfen. Aber als im Ministerium herumgefragt wurde, hat sich kaum jemand gemeldet. Da habe ich schüchtern die Hand gehoben – und erlebte sodann fünf unglaublich spannende Wochen in Rom, die am Ende sogar erfolgreich waren.“ Ein „Geschenk der Hoffnung für künftige Generationen“, so nannte der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan den neuen Gerichtshof in Den Haag.   

Wer dem smarten Professor zuhört, merkt schnell, da ist jemand, der nicht nur in großen Theorien denkt, sondern auch im politischen Alltag kein Blatt vor den Mund nimmt. So scheute er sich nicht vor Kritik etwa an US-Präsident Trump oder dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan. „Es gehört tatsächlich zu meinem beruflichen Selbstverständnis, nicht nur still über das Völkerrecht nachzudenken, sondern auch Stellung zu beziehen, wenn dieses Recht verletzt wird. In unserem Land genießen wir Wissenschaftler Unabhängigkeit. Das ist ein großes Privileg. Zur Glaubwürdigkeit gehört dann natürlich, niemanden von gebotener völkerrechtlicher Kritik auszunehmen“, bezieht er im SÜDBLICK-Gespräch klar Position.

Inzwischen haben sich dem Internationalen Strafgerichtshof 123 der 193 UN-Mitgliedsländer angeschlossen, darunter alle EU-Mitglieder. Nicht dabei ist jedoch China, Indien, Israel, Russland, Türkei und die USA. Wie wirksam also ist dieses Instrument, um Völkerrecht international durchzusetzen? „Es gibt zwar keine dokumentierte Erfolgsbilanz. Aber dass eine Institution Sanktionen verhängen kann, bleibt nicht ohne Wirkung“, konstatiert er. Der Kölner Experte nennt ein Beispiel: „In den letzten Jahren habe ich mich intensiv mit dem internationalen Verbrechen des Angriffskriegs beschäftigt, das man heute Verbrechen der Aggression nennt. Es ist nach langem Ringen gelungen, sich über eine internationale Definition zu einigen. Und seit 2018 kann der Internationale Strafgerichtshof seine Zuständigkeit über dieses Verbrechen ausüben.“ Immerhin ein konkreter Schritt für ein bisschen mehr Frieden.

Seine Zwischenbilanz lautet deshalb: „Bei aller Unvollkommenheit ist es im Lauf der Zeit gelungen, die Idee einer internationalen Rechtsgemeinschaft erheblich voranzubringen, sowohl durch die Schaffung von Normen als auch durch die Errichtung von Institutionen. All dies steht augenblicklich aber wegen der rechtsabgewandten Machtpolitik von Männern wie Trump, Putin, Erdogan oder Xi auf dem Spiel. Umso wichtiger ist es, dass die anderen nicht resigniert zurückweichen, sondern sich gemeinsam dafür einsetzen, das Erreichte zu bewahren.“ 

Und was stimmt ihn trotz aller Rückschläge für die Zukunft dennoch optimistisch? „Ich bin überzeugt, dass Recht und Institutionen widerstandskräftig sind, sie vergehen nicht über Nacht, wenn der Wind einmal rauer weht. Auch diese Herren sind, so meine feste Zuversicht, nicht das letzte Wort der Geschichte“, sagt der Rechtswissenschaftler. Und so hofft er, dass sich mit dem neuen US-Präsidenten auch die USA wieder aktiv für internationale Zusammenarbeit und Völkerrecht engagieren. Mit seiner Mission ist er weltweit unterwegs: Als Gastprofessor etwa an Hochschulen in Cambridge, Florenz, New York, Melbourne oder im japanischen Kyoto. Aber sein privates Zuhause hat er im Jahre 2000 mit seiner Familie in Rondorf gefunden: „Ich bin eine kölsche Seele – hier und dort zieht es mich zwar in die Ferne, aber ich komme immer sehr gerne wieder zurück an den Dom.“

Bleibt zum Abschluss unserer Tour d’Horizon durch die aufgewühlte Weltlage noch eine Frage: „Haben Sie ein historisches Vorbild? Eine Figur, von der man heute etwas lernen könnte?“  Da verweist Claus Kreß spontan auf Benjamin Ferencz, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit Kriegsverbrechen beschäftigte und unmittelbar nach der Befreiung in deutschen Konzentrationslagern ermittelte. „Er hat also auf einem mir vertrauten Feld gewirkt und tut es noch immer. Ich kenne ihn seit Jahren. Nachdem er als US-Soldat einige befreite deutsche Konzentrationslager gesehen hatte, wurde er im Alter von 27 Jahren Chefankläger in dem berühmten Nürnberger „Einsatzgruppenprozess“ gegen 22 nationalsozialistische Massenmörder. Danach setzte er sich für deutsche Entschädigungsleistungen an jüdische Opfer ein, und schließlich schrieb er dicke Wälzer gegen den Angriffskrieg und für den Weltfrieden. In diesem Jahr ist der letzte noch lebende Ankläger von Nürnberg 100 Jahre alt geworden – und Ben zögerte auch in seinem hohen Alter nicht, Donald Trump während dessen Amtszeit die Stirn zu bieten und ihm entgegenzurufen, dass er als Präsident der USA dabei sei, eine große Tradition seines Landes zu verraten, indem er das Völkerrecht mit Füßen tritt. Diese Haltung imponiert mir!“

Dann ist die Lehrstunde mit dem weltläufigen Professor aus Rondorf zu Ende. Zurück bleiben viele nachdenkliche Gesichter. Give peace a chance!

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