Eine von uns: Shahd aus Syrien

Sie floh mit ihrer Familie vor drei Jahren aus dem syrischen Bürgerkrieg nach Deutschland. Die Fahrt über das Mittelmeer, den harten Weg durch den Balkan hat Shahd bis heute nicht vergessen. Jetzt lebt die 18jährige Schülerin in Rondorf. Sie besucht mit großer Freude das Gymnasium, hat neue Freunde gefunden – während in ihrer Heimatstadt Idleb der Krieg härter tobt denn je. Der SÜDBLICK hat sie besucht.

Ihr Zimmer teilt sie mit ihren drei Geschwistern. Ihre Zwillingsschwestern sind etwas älter als sie, der Bruder ist fünf Jahre jünger. Das Zusammenleben auf engem Raum ist nicht immer ganz einfach. Es fehlt die Ruhe zum Lernen, manchmal möchte man auch einfach mal alleine sein können. Aber Shahd ist  verständnisvoll; sie hat es gelernt, Rücksicht zu nehmen und gelassen zu bleiben. Für sie ist es das wichtigste, dass sie hier, am Ortsrand von Rondorf, endlich ein neues Zuhause gefunden hat. Hier fühlt sie sich jetzt mit ihrer Familie sicher ohne die lauten Geräusche der Flugangriffe, die sie in ihrer syrischen Heimat erleben musste.  Sie gehört nämlich zu den Hunderttausenden, die der Bürgerkrieg zur Flucht zwang. Doch darüber zu reden, fällt ihr auch drei Jahre später noch immer nicht leicht.

Shahd wurde im April 2001 geboren, in der Stadt Idleb im Nordwesten von Syrien, nur 20 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt; vor Ausbruch des Bürgerkrieges lebten in dieser Stadt einmal fast 165.000 Menschen. Ihre Familie gehörte dazu.  Als die Lage in Syrien irgendwann hoffnungslos und ohne Perspektive auf eine Arbeit war, ging ihr Vater mehrere Jahre in den Libanon zu einer Werkstatt für Möbelherstellung, Holzlackierung, Küchenaufbau. Bei dem Inhaber, einem Armenier, war er so hoch geschätzt, dass er für seine sechsköpfige Familie daheim ein Haus erwerben und später sogar einen kleinen Laden für Holzbedarf in Idleb eröffnen konnte. Doch dann kam der Bürgerkrieg, die Zeit wurde Jahr für Jahr härter, die Lebenshaltungskosten stiegen stark. Als Mitte 2011 der Bürgerkrieg mit voller Wucht entbrannte, wurde die Lage lebensgefährlich. Der Vater erinnert sich: „ Meine Heimatstadt wurde belagert, bewaffnete Gruppen überfielen unsere Häuser, raubten, töteten, verhafteten viele Menschen. Besonders die Luftschläge der syrischen Regierung auf die Innenstadt waren schrecklich“. Im Zuge des Bürgerkrieges in Syrien wurde die Stadt im März 2015 von der islamistischen Rebellenallianz Dschaisch al-Fatah eingenommen.

Shahd und ihre Geschwister erinnern sich, wie die Kämpfer des IS in ihre Stadt eindrangen. Ihre Eltern versuchten zu verhindern, dass sie die Männer erkannten, um sie nicht zu verängstigen; doch durch die Fenster konnten sie die schwarz Uniformierten dennoch genau beobachten. Die meisten Einwohner flohen aus der Stadt. „Zunächst wussten wir nicht wohin. Dann entschieden wir uns für die nahe gelegene Türkei“ erzählt sie. Nur mit ihrer Schultasche bepackt floh sie mit den Eltern und ihren drei Geschwistern dorthin. Nach fünf Monaten  folgte 2015 die abenteuerliche Flucht  bis nach Deutschland. Zusammen mit 49 anderen wagten sie die riskante Mittelmeerfahrt nach Griechenland.

Dass der Vater in all der Hektik bei einem Sturz auf dem offenen Meer etwa seine Brille verlor, nicht mehr gut sehen konnte, war nur eines der Probleme. Krankheiten kamen dazu. Die Verzweiflung: Was kommt jetzt? Ihr Weg führte weiter durch Mazedonien, Serbien, über den ganzen Balkan bis Ungarn, dann erreichten sie Österreich. Die Flucht endete schliesslich nach mehreren Zwischenaufenthalten in Köln. Und im Mai 2016 vermittelten ihnen engagierte deutsche Unterstützer eine eigene Wohnung in Rondorf. Endlich raus aus der umgebauten stickigen Lagerhalle eines ehemaligen Baumarktes, in der sie mit  vielen anderen eher schlecht als recht zwischen dünnen Sperrholzwänden und unter miserablen hygienischen Bedingungen zunächst untergebracht waren. Aufgrund der Menge der Menschen fehlte auf dem kleinen Fleck jede Privatsphäre. Am Pfingstwochenende aber holten sie deutsche Freunde ab; sie hatten nichts ausser mehreren Plastiktaschen voll schmutziger Wäsche bei sich. Die neue Wohnung selbst war leer; Keine warme Heizung, kein Licht, keine Möbel. Helfer fanden sich ein, die das Notwendigste regelten.

Überhaupt trafen sie in Köln viele freundliche Leute, auch diese Erfahrung hat sich fest in das Gedächtnis von Shahd eingeprägt.  Sie denkt aber auch an ihre Heimat, als das Land noch schön und friedlich war: „Die vielen Religionen haben sich gegenseitig respektiert, wir hatten ein normales Leben. Doch der IS hat vor allem den Frauen ihr Rechte genommen“. Deshalb ist ihr Wunsch groß, dass es eines Tages in Syrien wieder so sein wird wie früher. Sie glaubt daran, dass ihr Land mit seinen vielen gebildeten, fleißigen und weltoffenen Menschen dann wieder neu aufblühen kann. Über Whats App steht ihre Familie von Köln aus weiter in Kontakt mit den Verwandten zuhause, kann die aktuelle Entwicklung dort gut verfolgen. Ihr großer Wunsch ist es, eines Tages wieder dorthin reisen zu können, Familienangehörige und Freunde wiederzusehen, die man zurücklassen musste. Vor allem ihren Freund Najib vermisst sie sehr.

Die Odyssee war für Shahd und ihre Geschwister auch mit mehrmaligem Schulwechsel verbunden. Die Gesamtschule lehnte sie und ihre beiden Schwestern nach dem Umzug leider ab – ohne jedes Gespräch, ohne Begründung. Doch dann hatten sie Glück: Das katholische Irmgardis-Gymnasium im Bayenthal nahm die drei Mädchen aus Syrien im Herbst 2016 auf. „Das war für uns genau das Richtige! Wir hatten gleich das ehrliche Gefühl, willkommen zu sein!“ weiss sie heute, auch wenn der Schulalltag noch immer hart ist – vor allem deutsche Literatur ist für sie schwere Kost; dafür klappt es in den naturwissenschaftlichen Fächern umso besser. „Aber wir haben im Gymnasium von Anfang an neue Freunde gefunden und sehr viel Unterstützung bekommen“ berichtet die junge erwachsene Frau fröhlich.  Und hofft voller Zuversicht, dass es auch mit dem Abitur klappt. Andere Schülerinnen und Schüler haben sich bereitgefunden, zu helfen, wo es Lernschwierigkeiten gibt.

Und was kommt danach? Shahd hat schon durchaus konkrete Pläne: „Ich würde gerne andere Städte kennenlernen und in fremde Länder reisen“. „Ja, ich möchte gerne anschliessend studieren. Am liebsten Architektur“. Dass sie bald vielleicht das Abitur machen kann, motiviert sie sehr. Köln gefällt ihr inzwischen gut: „Mit der Zeit lernte ich die Stadt  richtig zu lieben!“ Sie räumt aber auch ein, dass es immer noch Schwierigkeiten mit der Kommunikation gibt: „Die Deutschen denken vielfach komplett anders als ich“. Und manche Vorurteile machen sie noch immer traurig.

Inzwischen geht auch ihr jüngerer Bruder auf das gleiche Gymnasium. Und hofft: „Wenn  in einigen Jahren ein Gymnasium nach Rondorf kommt, kann ich davon vielleicht sogar noch profitieren!“ Der Vater hat ebenfalls einen großen Wunsch: Er möchte wieder in seinem erlernten Beruf als Schreiner arbeiten. Und ihre Mutter, die in Syrien einen eigenen Frisörsalon hatte, würde auch wieder gern ihr Können zeigen. Für Shahd steht eines  fest: Sie will alles dafür tun, dass sich ihre Familie hier in Deutschland ein neues Leben aufbauen kann. Und für die vielfältige Unterstützung möchte sie allen Rondorfern und den vielen anderen Helfern auf diesem Wege auch einmal DANKE sagen: „Wir haben in Deutschland viel Hilfe, Offenheit und Freundschaft erfahren. Dies möchten wir gern zurückgeben“.

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