Eine von uns: Christa Gustson, Palliativ Krankenschwester

Sie möchte da sein, zuhören, gemeinsam das Schwere aushalten, miteinander weinen, aber auch zusammen lachen. Und sich mit Respekt an jene erinnern, die sie als ihre Gäste bezeichnet. Christa Gustson ist Palliativ Krankenschwester im Hospiz St. Hedwig. In diesem Rondorfer Vorzeigeprojekt können Menschen in Würde Abschied vom Leben nehmen. Der SÜDBLICK hat sie an ihrem Arbeitsplatz besucht.

Auf dem schlicht gestalteten „Gedenktisch“ im Foyer ist eine Kerze entzündet. Daneben liegen Steine mit kurzer Inschrift, die an die hier Verstorbenen erinnern. Ein letztes Mal läutet der Gong in dem hellen freundlichen Eingangsbereich zum Abschied. Dann öffnet sich die Eingangstür nach draußen:  Einer der eben verstorbenen Gäste wird auf seinem letzten Weg hinausgetragen. Der Wagen des Beerdigungsinstitutes wartet bereits diskret. Es ist ein leises Abschiednehmen. Der Kampf zwischen Leben und Tod ist entschieden. Mehr als tausend Gäste hat Frau Gustson in den letzten Jahren begleitet. Denn die ausgebildete Palliativ Krankenschwester ist Mitarbeiterin der ersten Stunde im Hospiz, das unheilbar Kranke in der allerletzten Lebensphase aufnimmt. 

„Diese oft nur noch wenigen Tage oder Wochen begleiten und gestalten zu können, mit individueller Zuwendung, ganzheitlich von der medizinischen und pflegerischen Versorgung bis hin zum seelischen und persönlichen Beistand, diese Aufgabe wollen wir hier verwirklichen“, erzählt die 57jährige bei einem Rundgang. Die zwölf großzügigen Zimmer der Gäste haben alle Balkon oder Terrasse, jeder kann sich hier mit persönlichen Dingen einrichten. Angehörige dürfen sich mit einem Zustellbett dort ebenfalls auf Wunsch aufhalten. 

Denn das Hospiz legt größten Wert auf eine persönliche Atmosphäre mit Wärme und Geborgenheit. Egal, ob im Wohnzimmer mit dem Kamin oder in der offenen Küche mit den individuellen Speisen. „Sich Zeit nehmen, zuhören, manchmal nur das Nötigste sprechen und dann wieder über alles zu reden, insbesondere das, was belastet. Aber ebenso, sich miteinander freuen zu können, selbst wenn es nur Kleinigkeiten oder Erinnerungen sind. Und dann wieder zu schweigen und nur still dabei zu sitzen, vielleicht nur eine kurze Berührung, das ist mir wichtig“, erläutert Christa Gustson. Und fügt hinzu: „Vielleicht ist das Stillsitzen und das Nichtstun die größte Herausforderung bei einer Begleitung.“ Mit Demut will sie ihren Gästen helfen, durch die letzten Tage zu gehen und dem Versuch, nichts zu werten. Auch das sieht sie als Herausforderung in diesem besonderen Arbeitsfeld.

Im Oktober 2005 wurde das Hospiz St. Hedwig als Gemeinschaftsprojekt der Alexianer-Brüder und der Cellitinnen zur Heiligen Elisabeth eröffnet. Diese beiden Ordensgemeinschaften haben es sich schon im Mittelalter zur Aufgabe gemacht, sich um Schwerstkranke zu kümmern. „Als ich erstmals von den Plänen für Rondorf hörte, bin ich voller Neugier zur Baustelle gefahren, um mir den Ort für ein Hospiz genauer anzuschauen“, erinnert sich die Frau, die früher auf einer Station in der Unfallchirurgie gearbeitet hat. Nach ersten Kontakten war sie schnell von der Aufgabe überzeugt, hier Menschen einfühlsam auf nichts anderes mehr vorzubereiten als auf ein Leben bis zum letzten Tag, um dann in Würde zu sterben. Seitdem arbeitet sie in diesem dezent und lichtvoll gestalteten Haus für das Ziel, unheilbar Kranken ein selbstbestimmtes Leben schmerzfrei bis zuletzt zu ermöglichen. „Sterben, Tod und Trauer gehen uns alle an und sind Teil unseres Lebens“, ist der Leitgedanke, von dem sie überzeugt ist. Dabei geht es nicht nur um die Versorgung der schwerstkranken Menschen, sondern auch um die Begleitung der Angehörigen mit ihren vielen Fragen und eigenen Ängsten. 

Durch mehrere Fortbildungskurse und „learning by doing“ wurde Christa Gustson Palliativ Krankenschwester. Das heißt: Rund um die Uhr im Schichtwechsel da zu sein für Schmerzminimierung und Symptomlinderung, aber ebenso für psychosoziale und spirituelle Begleitung, die Schutz und Geborgenheit bieten sollen. Denn das Wort „Palliativ“ ist Programm: Es ist abgeleitet vom lateinischen Wort für Mantel: „Pallium“. So will man hier die Gäste schützend umhüllen, wie mit einem warmen Mantel.

„Eine Oase in Rondorf“, nennt Christa Gustson ihren Arbeitsplatz. Mit ihr gehören fast 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Team. Viele arbeiten in Teilzeit, es sind qualifizierte Pflegekräfte, Ärzte, junge Erwachsene im Freiwilligen Sozialen Jahr. Dazu kommen eine Garten-Therapeutin und ein Seelsorger. Besondere Angebote sind außerdem eine Aromapflege mit frischen Essenzen und Düften aus der Natur und eine Musik-​ und Kunsttherapie. Die Kooperation mit dem ambulanten Hospizdienst der Johanniter ergänzt das Angebot durch ehrenamtliche psychosoziale Betreuung. Auch Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Logopäden sind verfügbar.

Wir schauen durch das Fenster der kleinen Kapelle hinaus zur Straße. Manchmal hört man sogar von draußen im Vorbeigehen das Singen oder das Spiel der Orgel. Denn regelmäßig wird hier auch ein Gottesdienst angeboten und auf Wunsch in die Zimmer übertragen. „Der Wunsch nach religiösem Beistand hat in den Jahren sehr abgenommen. Dennoch entwickeln sich mit dem Seelsorger und auch mit uns Pflegenden manchmal tiefe Gespräche über den Sinn des Lebens, über Rückblicke und Lebensfazits“, meint die Frau nachdenklich, die selbst so viel Gelassenheit und innere Ruhe ausstrahlt.

Wer weiter durch das Haus geht, spürt schnell eine große Stille. Die Hektik des Lebens bleibt vor der Tür. Nur aus dem benachbarten Kindergarten kommt ab und zu das fröhliche Lachen der Kinder. „Viele der Schwerkranken empfinden diese Nachbarschaft durchaus als etwas Besonderes und Befreiendes. Bei schönem Wetter können sie von ihren Fenstern oder aus dem Garten einen Blick auf das junge Leben nebenan nehmen, manchmal kommt es sogar zu kleinen Gesprächen über den Gartenzaun; das kann sehr berührend sein“, findet Christa Gustson, selbst Mutter von vier inzwischen erwachsenen Töchtern. Sie erzählt von der Freude, wenn zum Beispiel im November die Schulkinder des Kindergartens mit ihren Laternen ins Hospiz kommen und singen. Hier der Kindergarten, daneben das Hospiz St. Hedwig. Kommen und Gehen. Die ganze Spannweite des Lebens. 

Rund um das Haus pflegen derzeit drei ehrenamtliche Hobbygärtner, manchmal sogar mit ein paar Bewohnern, liebevoll kleine Blumenbeete. Auch eine Wildblumenwiese wurde gemeinsam angelegt. „Gerade jetzt im Frühjahr erfreuen sich die Gäste daran, noch einmal die neu aufgeblühte Natur miterleben zu dürfen,“ erfahren wir.  Und drinnen ist seit 15 Jahren der Arbeitsplatz von Christa Gustson. Soll man sie bewundern für dieses Engagement, das durchaus einiges abverlangt? Da wehrt sie vorsichtig ab: „Viele sagen mir, dass sie diese Arbeit mit Schwerkranken und Sterbenden nicht könnten. Aber ich sehe das anders: ich fühle mich in Vielem eher beschenkt, spüre Dankbarkeit und Anerkennung. Es ist mir erlaubt, am Leben anderer Menschen teilzuhaben, eine der größten Krisensituationen des Menschen mit aushalten zu dürfen, um so Tag für Tag zu erkennen, was wirklich wichtig ist. Ich erlebe hier tief bewegende Momente, die man so schnell nicht vergisst!“

Rückfrage: „Aber gibt es nicht auch den Moment, wo Sie erschöpft oder gar verzweifelt sind bei all dem Traurigen?“ Ihre Antwort kommt sehr klar: „Ja, es gibt diese Momente: wenn Kinder vor ihren Eltern sterben, auch wenn das Kind sechzig Jahre ist, gehört sich das nicht.“ Für sie selbst ist ein stabiles privates Umfeld hilfreich. Ab und zu wandert sie über Friedhöfe und fotografiert. Die Palliativ Krankenschwester hat für sich zudem ihre ganz eigene Fähigkeit entwickelt, nach einem intensiven Arbeitstag abschalten zu können. Sie schreibt ihre Gedanken, Gespräche, Begegnungen in kleinen Texten auf – Fröhliches, Nachdenkliches, Schönes, Trauriges.

Daraus ist inzwischen ein sehr lesenswertes kleines Buch entstanden: „Dabei sein – Bleibende Momente aus dem Hospizalltag“ lautet der Titel. Gleich auf der ersten Seite verrät sie: „Das Schreiben hilft mir, Dinge von meiner Seele zu nehmen, ohne sie zu vergessen.“ Da ist etwa die erst 22jährige Frau, die in ihrem kurzen Leben schon so viele Schicksalsschläge erlitten hat. Wir lesen: „Sie liegt mit dem Gesicht auf meinen Beinen und weint. Mich packt es und gemeinsam rollen die Tränen. Nach einer Weile zückt sie ein Taschentuch, reicht es mir, tätschelt meine Hand und lächelt mich an. Was für ein großer Moment.“

Ja, es gibt Menschen, denen die helfende Sterbebegleiterin, (ein Gast nannte sie mal Hebamme) im Hospiz in all den Jahren begegnet sind, die sie nicht vergessen kann. „Interessanterweise sind dies am häufigsten die Gäste mit Ecken und Kanten, mit Eigenheiten, wo ich noch lange denke, dieser Mensch hatte etwas sehr Spezielles!“ Aber dann fügt sie hinzu: „Letztlich ist jeder Mensch etwas ganz Besonderes!“ Dieses Motiv wird hier im Hospiz St. Hedwig jeden Tag gelebt. So gut es geht. Dazu gehört auch, letzte Wünsche zu erfüllen.

In diesen Tagen ändert sich etwas im Leben der Palliativ Krankenschwester. Christa Gustson übernimmt im Hospiz die neue Aufgabe als Koordinatorin der Ehrenamtlichen im ambulanten Hospizdienst der Johanniter. Was sie sich für die Zukunft wünscht? „Dass dieses ein offenes Haus für Begegnungen bleibt!“ Deshalb möchte sie auch, „dass wir das Sterben mehr als einen Teil unseres Lebens verstehen und das Thema nicht hinter verschlossenen Türen verdrängen.“ Besucher, Interessierte und der Kontakt zur Öffentlichkeit sind ihr deshalb weiterhin ein Anliegen.

Eine wichtige Rolle spielt dabei aus ihrer Sicht der Förderverein, der maßgeblich von der Dorfgemeinschaft mitgetragen wird. Das Hospiz ist nämlich angewiesen auf die Unterstützung von Bürgerinnen und Bürgern, von Firmen, Vereinigungen und Institutionen, da nur ein Teil der erforderlichen Mittel durch Krankenkassen und Pflegekassen zur Verfügung gestellt wird. „Wer will, kann durchaus noch mehr tun. Zum Beispiel einen Teil seiner Zeit und Kraft zur Verfügung stellen, um ehrenamtliche Aufgaben zu übernehmen“,  sagt Christa Gustson. Und gibt dem Besucher die Überzeugung mit: „Ich würde es wieder tun!“

Kontakt: Hospiz St. Hedwig, Am Höfchen 16, 50 997 Köln – Rondorf, Tel. 02203-3691-11121 www.foerderverein-hospizdienste.de; hospizverein@alexianer-koeln.de

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