Einer von uns: Jupp Scheer

Es geht wieder los: Wenn am Rosenmontag pünktlich ab 14.30 Uhr von Hochkirchen bis Rondorf alles schunkelt, tanzt und bützt, dann hält er die Zügel fest in der Hand: Jupp Scheer ist seit 14 Jahren Zugleiter im Veedelszoch, der eine ganz besondere Geschichte hat – und sich gerade neu erfindet.

So schnell bringt den Urkölner eigentlich nichts aus der Ruhe. Aber eines kann Jupp Scheer dann doch leicht in Rage versetzen: „Hier“, setzt er mit dem Finger ein Ausrufezeichen in die Luft und packt einen Stapel Papier auf den Besprechungstisch. „Schon wieder  ist die ordnungsbehördliche Erlaubnis zur Durchführung des örtlichen Karnevalsumzuges   um mehrere Auflagen umfangreicher geworden! Jedes Jahr kommen neue Bestimmungen dazu“  stöhnt er.  Nicht weniger als sieben eng bedruckte Seiten mit Vorschriften, Hinweisen,   Beantragungen muss er inzwischen  Punkt für Punkt abarbeiten, bis er grünes Licht bekommt für den gemeinsamen Karnevalsumzug 2019 der KG „Löstige Öhs“ und der KG „Der Reiter“ „gemäß § 18 des Strassen- und Wegegesetzes NRW“, abgekürzt StrWG. Und dies ist nur eines von vielen Formularen, Nachweisen, Bescheinigungen, die für drei Stunden Frohsinn zu bearbeiten sind.  Alaaf!

Spätestens jetzt merken wir: Karneval ist eine sehr ernste Sache, Verwaltungen verstehen keinen Spaß – außer natürlich Leute wie Jupp Scheer, selbst routinierter Mitarbeiter beim Bezirksamt – und wahrscheinlich gerade deshalb eine Idealbesetzung für diesen stressigen und verantwortungsvollen Job des Zugleiters.

Schon Mitte September hat er den Antrag eingereicht – und damit beginnt für ihn jedes Mal die Vorbereitung für den fröhlichsten Tag des ganzen Jahres.  Zum Glück ist die Session diesmal relativ lang, da bleibt genug Zeit, alle Punkte auf der langen Liste zuverlässig abzuhaken.

14 Tage vor dem Rosenmontag hat der  62jährige Chefplaner der „Löstige Öhs“ noch einmal alle Akteure vor und hinter dem närrischen Korso  zu einer letzten Lagebesprechung im „Großrotter Hof“ zusammengetrommelt.  Immerhin rund 500 Hochkirchener und Rondorfer, aber auch etliche „Auswärtige“  im Festzug, auf den bunten Wagen sowie hinter den Kulissen tragen dazu bei,   dass bei der fröhlichen Parade alles gut und sicher abläuft. Zum Beispiel: Haben wir genügend gut geschulte Wagenengel und Securityleute? Denn Sicherheit ist oberstes Gebot.  Und dann kommt das Thema: Wer marschiert wann und wo? Die Reihenfolge der Wagen, Musiker, Fußgruppen  festzulegen, auch das ist ein Kunstwerk  für sich. 

Für das Aufstellen ist dieses Jahr etwas mehr Platz, denn erstmals kann man sich auf dem größeren Teilstück zwischen Zuckerberg und Autobahnbrücke  versammeln. Noch einmal wird dann an dem großen Tag vor Ort  die lange Check-Liste abgehakt. Und dann, 14.30, gibt der wichtigste Mann des Tages endlich das Kommando : Es  geht los!

Auch wenn er sich jedes Mal freut, wenn am Aschermittwoch wieder alles vorbei ist, missen möchte „der Jupp“, wie ihn im Ort alle nennen, diese Aufgabe nicht eine Stunde. „Wenn der Zoch startet, hole ich tief Luft, dann ist mein Job erst einmal erledigt. Aber nach ein paar Wochen geht das Gribbeln für das nächste Mal bei mir schon wieder los“, gibt er lachend zu.

Immerhin ist er der Hüter einer großen und stolzen  Tradition.

Denn schon  1947, als Köln in Schutt und Asche lag und die Menschen in ihrer Not nicht mehr ein noch aus wussten, beschlossen die Rondorfer: Wir machen einen eigenen Rosenmontagsumzug, den ersten überhaupt in der wechselvollen Geschichte des Ortes. Gesagt, getan. Und  war er damals auch noch so klein und bescheiden – als der „Zoch kütt“ waren  die Menschen hier erstmals nach der Kriegszeit wieder richtig glücklich. Das war ihre Art, dem Schicksal zu trotzen.

Aber leider. Irgendwann, mit den Jahren des Wirtschaftswunders, da man anderes im Kopf hatte, ist die schöne Idee wieder eingeschlafen. Erst 1963  ergrîff die gerade neu gegründete KG „Löstige Öhs“ die Initiative und startete zum ersten Mal nach langer Pause am Rosenmontag wieder eine Kappenfahrt in Rondorf unter dem Motto: „ Rondorf erwache! Wat es Kirmes ohne Kirmesplatz, wat es Fasteloovend ohne Zoch ?“. Laut Chronik waren es  neun standfeste Rondorfer Bürger,   die am 10. Februar 1963 in der Gaststätte „Zum Schwalbennest“ beschlossen, einen Karnevalswagen zu bauen, der am Rosenmontag durch die Straßen ihres Veedels ziehen sollte.

Über alles Nähere wurde später festgehalten:  „ Die Jecke hatten tief in ihre Taschen gegriffen und den Wagen gut bestückt: Ein Fäßchen Kölsch, drei Zentner Kamelle, dreihundert Tafeln Schokolade und zweihundert Strüßche. Es wurde für Rondorf ein einmaliges Erlebnis“.

Doch es bleib nicht bei dem einen Mal. Im Gegenteil: Der Zug sollte von Jahr zu Jahr größer werden. Einige waren freilich der Meinung, der Rondorfer Zoch solle lieber am Sonntag laufen, damit man am Montag in die Stadt könne. Aber die „Löstige Öhs“ blieben hart – und deshalb ist der Rosenmontag als Termin bis heute eisernes Gesetz. Und das Staunen in der Stadt groß,   dass es jemand aus dem kleinen Veedel wagt, zur gleichen Zeit wie der weltberühmte Umzug in der Innenstadt einen eigenen Zoch auf die Strasse zu schicken.

In Hochkirchen war man sogar noch etwas schneller. Schon 1962 beschlossen hier sieben trinkfeste Bierfreunde der KG „Die Reiter“, den Einwohnern etwas Freude spenden. Und so  zogen sie mit Prinz Rolf an der Spitze am Karnevalssonntag erstmals mit eigenem Zug durch Hochkirchen. Die Chronik hält über das Ereignis fest: „ Mit einem Prinzenwagen und sehr viel Fußvolk zog man mit Pauken und Trompeten durch die damals wenigen Strassen von Hochkirchen. Die Bevölkerung stellte fest, dass man nicht in das nahe Köln brauchte, um zu feiern. Die Hochkirchener waren voll im Karneval dabei. Größere und kleine Gruppen wurden gebildet. Vier Festwagen wurden gebaut, alles in eigener Regie und so  gab es einen herrlichen Umzug mit viel Fußvolk, Kapellen und Fanfarencorps. Kamelle und Strüßcher wurden reichlich geworfen“.

Doch 1974 war Schluss mit den getrennten Aufmärschen. „Löstige Öhs“ und „Reiter“ kamen überein, am  Rosenmontag  künftig gemeinsam zu feiern. Und seitdem zieht man in jährlichem Wechsel einmal von Rondorf nach Hochkirchen – und das Jahr darauf in umgekehrter Richtung. So wie diesmal. Und deshalb teilt Jupp Scheer die Verantwortung des Zugleiters inzwischen auch mit  dem 31jährigen Anlagemechaniker Marcus Rura von den „Reitern“. 

Dass dieser „Veedelszoch“ seinen ganz besonderen Charakter hat, davon sind nicht nur diese beiden überzeugt. „Wir gehen ja extra etwas langsamer, da bleibt Zeit für spontane Begegnungen mit vielen  Freunden und Nachbarn am Straßenrand, wir sehen den Ablauf bei uns etwas lockerer, denn hier kennt ja jeder irgendwie jeden    und das bringt zusätzlichen Spaß“ meint Jupp Scheer. Und Marcus Rura, der auch das Jahr über gern auf Parties geht, hat noch einen Trend entdeckt: „ Auf der gesamten Strecke erleben wir immer öfter kleine, eigene Nachbarschaftsfeste;  vor vielen Häusern und an speziellen Treffpunkten  gibt es zusätzliche gemeinsame  Aktionen, das sorgt für noch mehr spontane Begeisterung. Das gibt es so nur hier!“.

Immerhin schätzen die Veranstalter, dass an diesem Nachmittag – wenn das Wetter mitspielt – bis zu 10.000 Jecke auf den Beinen sind, um die zwei Kilometer lange schönste, bunteste Verbindung, die es  zwischen Hochkirchen und Rondorf gibt, mitzuerleben. Dass man jetzt schon 45 Jahre lang gemeinsam gegen die große „Konkurrenz“  in der Innenstadt so erfolgreich bestehen kann, hat noch einen zusätzlichen Grund: „Bei uns gibt es wesentlich mehr Kamelle, Strüßcher und andere freundliche Überraschungen  – für uns ist es Ehrensache, dass jeder, der am Straßenrand mitfeiert, mit einer ordentlichen Tüte nachhause gehen kann!“ sagt Jupp Scheer augenzwinkernd.

Und doch hat er für die Zukunft  einen großen Wunsch; „Es wäre schön, wenn alle Kindergärten, Schulen, Vereine aus unserem Veedel bei diesem Ereignis aktiv mitmachen und mitlaufen würden, denn unser Zoch ist offen für alle Gruppierungen“. Jeder kann seine Ideen einbringen – und so dafür sorgen, dass dieses Ereignis  nicht nur eine große Geschichte hat, sondern auch eine ebenso große Zukunft. 

Jupp Scheer hat es in der Vorbesprechung eilig: Mit dem Angebot an Livebands und Musikkapellen hakt es ein wenig. Er startet deshalb einen letzten energischen Aufruf in die einschlägige Unterhaltungsszene: Wer hat Lust, bei unserem Veedelszoch aufzuspielen? Das letzte Wochenende verspricht für die beiden Zugleiter noch jede Menge Hektik, bis die letzten Details geklärt sind. Alaaf!  

3 Kommentare
  1. Anne Merkenich
    Anne Merkenich sagte:

    Lieber Jupp Scheer, ich als Ureinwohnerin von Rondorf, bin begeistert von deinem Engagement, eine Tradition aufrecht zu erhalten und lerne jetzt erst durch den wirklich großartigen newsletter der Dorfgemeinschaft, mit wieviel Arbeit dies verbunden ist. Chapeau! Als Seniorenvertreterin der Stadt Köln für den Stadtbezirk 2, also auch Rondorf-Hochkirchen-Höningen und alle umliegenden Ortschaften, habe ich spontan die Idee,
    eine Rollatorenparade der Senioren*innen mit Dirty Dancing Musik im Veedelszog zu installieren. Kann ich auf deine Hilfe zählen??? Melde dich bitte nach Karneval bei mir unter 02233 7139777

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  2. Schwatze Köpp
    Schwatze Köpp sagte:

    Unserem besten Zochleiter der Kölle hätt iss unsere Jupp.
    Mer roofe demm Jupp zo: „Dreimol Kölle Alaaf “
    Un wenn de Zoch am Enk iss, roofe mer all „Jung dat häss de joot jemaat“…..

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  3. Marita Esser
    Marita Esser sagte:

    Leeve Jupp,
    auch wir Köche von „Immer Dabei“ sagen vielen Dank für Dein Engagement. Natürlich gilt dieser Dank auch Deinem Team. Ihr seit einfach KLASSE! Wir wünschen Euch einen schönen Fastelovend un roofen Üsch zo Kölle Alaaf!

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